Die fremde Küste


...Ich hatte versäumt den Pelz nach innen zu stülpen und die Fleischseite mit Fett zu bestreichen, wie es die anderen taten. Nun waren die Haare verkrustet vom Salz und troffen vor Feuchtigkeit. Die Augen gingen über die Wellen, wie seit Tagen, wogten mit ihnen auf und ab. Leichte Schaumschlieren zogen dahin und verschwanden im Grau. Eine Möwe schoss dicht über der Wasseroberfläche an uns vorbei, ihr schwarzgelber Schnabel wandte sich, kurz streifte der hungrige Blick. Es war Unruhe an Bord. Angestrengt blickten wir nach vorn über den leicht hebenden und senkenden Bug ins dämmrige Zwielicht. In unserem Rücken war die Sonne gerade aufgegangen, aber ihre Strahlen brachen nicht richtig durch. Die Taue waren feucht und knarrten. Ungleichmässig wehte die Morgenbrise und das große Segel über uns begann durch Querböen zu schlagen, wir wussten was das hieß. Spannung hatte alle erfasst. Gespräche verstummten, aber es wurden eh nur wenig Worte gesprochen, nach über einer Woche an Bord. Lange graue Tage und unendlich lange Nächte auf hoher See, der Regen, das ewige Wasser schöpfen, unterbrochen von Segelmanövern, dem Austreten oder ein paar Rudereinsätzen, was den kalten Muskeln Bewegung brachte. Wachsam spähten wir nach vorn, alle waren bereit. Die Rah mit dem schweren Leinensegel bergen, teilreffen, uns umdrehen und die Ruder fassen lauteten die Kommandos, auf die alle harrten. Als sie kamen war ordentlich Bewegung an Bord, endlich die kalten Knochen rühren, die klammen Glieder spüren. Die Handgriffe sassen, denn wir Jungen waren bemüht die Anerkennung der Alterfahrenen an Bord zu bekommen. Also tat jeder sein bestes. Doch die Spannung war da, das seltsame Gefühl im Bauch, kalt und unangenehm, wie der Dörrfisch, den wir nun mehrere Tage herunter geschlungen hatten. Wir sehnten uns nach einem Feuer, nach der wärmenden Suppe, einem heißen Getränk und endlich das feuchte Leder vom Leib zu bekommen. An einen Braten war erst einmal nicht zu denken, aber er würde sich finden lassen. Der auf und nieder gehende graue Balken am Horizont, da war sie die Küste, endlich...

Wir wussten was es hieß unbekannte Klippen in der Dämmerung anzulaufen, also galt es ausreichend Helligkeit abzuwarten. Für viele war es die erste große Fahrt, manche hatten Erfahrung beim Fischfang vor Roga. Fremdes Land war tückisch und es brauchte ein sehr wachsames Auge, vor allem Instinkt und Erfahrung. Nachdem ich das schwere Ruder hoch genommen hatte, in die Dolle legte, die Schlinge durch die Öse zurrte, in Erwartung der nächsten Kommandos, sah ich auf Jorm. Er grinste! Ja, er stand breitbeinig an der Pinne, grinste und das war gut. Das tat gut. Es flößte Vertrauen ein. Der Steuermann war ein altes erfahrenes Walroß, er hatte schon viele Fahrten gemacht. Manchmal erzählte er von den Reisen nach Miklagard, die Flüsse der grossen Ebene hinab, erzählte von den Stromschnellen, den Pferdemenschen und ihren schwarzhaarigen schlitzäugigen Frauen, besonders mit letzterem gelang es ihm immer wieder unsere Aufmerksamkeit zu fesseln. Dick eingepackt in sein Seehundsfell, das Haar nach innen und schmutzig aussen die Haut dick mit Fett beschmiert, stand er da, Wassertropfen perlten herab. Er wusste, was nun kam. Das war sein Tanz und er würde ihn zu tanzen wissen, den „Seerappen“ bändigen. Von seiner Kunst hing es ab uns ans Ufer zu bringen. Unser aller Leben war in seiner Hand. Hin und wieder wandte sich sein spähendes Auge vom Horizont zu den Wellen. Er betrachtete ihren Gang und die Färbung des Wassers, das wusste ich, so hatte es mir mein Vater auch beigebracht, aber es war ein großer Unterschied zwischen dem Einbaum und einem seetüchtigen Langschiff. Dann sprach Jorm ruhig und leise mit Hamrun, der neben ihm stand, sein „Lehrling“. Er würde ihm zur Hand gehen, wenn es Kraft am Ruder bedurfte. Ich fasste an den Dollbord mit einem Dankesgruß an die Götter und sog die salzige Luft ein. Ich war froh hier zu sein, auf diesem Schiff und keinem anderen. Der „Seerappe“ war schon ein wenig betagt und es gab ein paar Eigenheiten, aber so ist es nun einmal mit stolzen Rössern. Hömur hatte ihn vor über zwei Jahrzehnten zu Stapel gelassen. Er hatte viele gute Schiffe gebaut und sein Tod war ein grosser Verlust für den Herrn. Jener stand an Backbord neben den beiden angestrengt Spähenden, die mit der Pinne beschäftigt waren und blickte missmutig drein, grimmig. Seine Laune war mies. Seitdem wir die Knorr verloren hatten, war er ungenießbar und wir wagten es kaum ihn anzublicken. In der verdammten Nebelbank hatten wir die dickbauchige Knorr verloren. Es war vermutlich auch nicht sonderlich geschickt sich an den lahmen Pott zu binden, der mit den Wellen kämpfte, während unser „Rappe“ wie eine Spatha durch die Wogen schnitt, immer wieder mussten wir das Segel reffen und Fahrt raus nehmen. Die Knorr hätte die Sklaven tragen sollen. Die einzige Beute, welche die ausgeplünderten Dörfer noch brachte. Die Klöster waren leer, die befestigten Orte unangreifbar, da blieben nur die Dorfbewohner. Aber ohne Knorr konnten sie nicht aufgenommen werden, bei uns war kaum Platz an Bord.

Kreischend die Möwen über uns und seitwärts, Fahrt ging allmählich aus dem Boot, das zu schlingern begann. Das fahle Licht der steigenden Sonne im Gesicht, drehte ich den Kopf, blickte über die Schulter zurück, über die fast eingeholte Segelrah mit dem bauschenden Segel, jederzeit bereit im Notfall wieder geheisst zu werden. Die Brassen schleiften im Wasser. Zwei Mann standen an Lee und lehrten sich aus, letzte Gelegenheit. Am Bug der Lotse, mit dem Senkblei in der Hand. Die Küste, nun sehr deutlich. Hohe Klippen, oben auf schälte sich leichtes Grün heraus, braun erdig, graue Felsen, darunter weiß die Brandung. Neben den schweren Gerüchen von Salz- und Brackwasser, nassen Tauen, Holz und Teer ein leicht süsslicher Duft, es roch nach Land. Gesprochen wurde nicht, eher gemurmelt. Immer wieder gingen die Köpfe Einzelner rum, viele in meinem Alter, Milchgesichter eben, bestenfalls ein Schatten oder ein Flaum, dazwischen die bärtigen Alten, die Ruhe und Gleichmut ausstrahlten, sie ging nichts an, alles schon zu oft erlebt. Fron hatte schon wieder gekotzt, Speie hing am Kinn. Das überhaupt noch etwas in ihm drin war? Die Augen des Schmiedesohns lagen tief in den Höhlen, gequälte Gesichtszüge. Er war nicht für die See geboren. Dabei brauchten wir ihn. Hoffentlich würde alles gut gehen? Bloß kein Gefecht mit den Königsleuten. Der anglische Schildwall war schwer zu durchbrechen, hieß es, wenn sie die Lanzen vorreckten war´s schwer, oft unmöglich. Wir hatten doch nur unsere kurzen Äxte und langen Kampfmesser, was eben an Bord ging, ansonsten besassen wir Mut, so hofften wir, oder eher Tollkühnheit. Mit den vielen Jungmannen vielleicht mehr letzteres. Erfahrung hatten nur die zwei handvoll Kämpen, der enge Kern um den Herrn. Der Rest war für die Fahrt geworben. Die Anglischen verfügten über harte und kampferprobte Krieger, doch die konnten ja nicht überall sein. Hoffentlich kamen sie nicht mit Reitern? Auf den Gäulen waren sie schnell und Fußkämpfern überlegen. Sie würden ein Geplänkel mit uns nicht als ernsthafte Schlacht werten, also kein Grund abzusitzen. Dann mussten wir sie zwingen und ebenso einen Schildwall bilden. Dummerweise waren, bis auf das Bündel Seestangen, die Lanzen auf der Knorr, wie blöd.

Mit einmal alle Gedanken weg, die Befehle flogen: „ Rudern, Jungs, rudern, im Gleichmaß, hooo, hooo, Backbord pullt, Steuerbord gegen“. Jorm bellte die Kommandos heraus, brüllte über die deutlich hörbar rauschende Brandung hinweg, die See ging höher, Schaumkronen überall, Fallwind von den Klippen trotz des gehörigen Abstands, Gischt sprühte ins Gesicht, die schützende Bucht mit dem Sandstrand ein Stück nordwärts galt es zu erreichen...



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