neulich in Bamberg

oder mittelalterliche Quellen und „Stolpersteine“ der Neuzeit


Mittwoch Nachmittag. Das Diözesanmuseum war geschlossen, hätte man doch besser vorher im net recherchiert. Also, nach kurzer Beratschlagung auf den Stufen des Gebäudes mit wenigen Schritten in Richtung Dom, um dem Bau und seinen plastischen Ausschmückungen Referenz zu erweisen. Der erste erreichte Bauteil, die Adamspforte - momentan offiziell der Ausgang - rief ein wenig Erstaunen hervor, weniger durch die Skulpturen von Heinrich und Kunigunde in Kopie, sondern durch den Bogen, verziert im „normannischen Zackenstil“. In der Regel wird er als Detail normannischer Baukunst des XII. Jhs erwähnt. Nach Süditalien, Westfrankreich und England fand das Architekturelement Aufnahme rechts des Rheins zu Zeiten der Staufer, war also eines der vielen Übernahmen aus der westeurop. Baukunst, in diesem Fall nicht der Gotik, sondern der Romanik. In Bamberg bezeugt er den spätromanischen Baubeginn des Doms um 1220, vergleichbar mit den Wellenbändern im Westchor des Wormser Doms, geweiht 1181. Ein wenig grüblerisch den Ostchor des Doms umrundet, ein paar Bilder vom Schwertgurt des Georgs im Marien-Tympanon gemacht, die Stufen hinauf und durch die Gnadenpforte hinein in das majestätische Kirchengebäude. Die Reliefs der Chorschranken des Georgchors zur Linken, an den erhoben platzierten Skulpturen der Synagoge und Ecclesia vorbei, ein Stück um die Ecke und da stand, erstarrt, der berühmte Reiter, hoch auf der Konsole mit dem Kragstein der Akanthus-Blattmaske, deren Abbildung Euch geneigter Leser nun hierhin führte. Man nähert sich dem Pferd von hinten, was in Natura selten geschickt ist, in diesem Fall aber ungefährlich, da Pferd und Reiter nicht nur über den Köpfen des Betrachters stehen, sondern hinzu bekanntlich in Stein gemeisselt die Pose schon eine Weile halten. Das Roß mit aufgestellten Ohren, die Vorderbeine starr, die Hinterhand nachführend, so als hätte der Reiter das Tier gerade gezügelt, seinen Kopf nach rechts gewendet, der Blick in die Ferne schweift durch das Hauptschiff zum Westchor. Mit gerundeten Augen und leicht geöffnetem Mund deutet sein Gesichtsausdruck ein gewisses Erstaunen an.

Seit der Jugendzeit fast ein Dutzend Male den Dom besucht, selbst bei der ersten unvergesslichen großen Deutschland-Reise gegen Mitte der 1980er über Soest, Kassel, nach Würzburg und Bamberg mit dem eigenen Auto kurz nach Führerscheinerwerb, was sicher ein besonderer Moment war. Seitdem Dom und Reiter oft besucht, aber nun durchzuckte es wie ein Blitz den Betrachter samt Begleiter. „Das Pferd gezügelt“ – der Zügel war ja echt (!), nicht aus Stein, sondern aus Leder, und die Trense im Maul des Pferdes, ja tatsächlich, aus Metall und die Beschläge auf dem Zügel, ebenfalls aus Metall, unfassbar! Vorher war dieses Detail nicht aufgefallen oder sonderlich von Belang. Aber im Lauf der Jahre trübt sich wohl der Blick auf Allgemeines, aber schärft und fokussiert auf Wesentliches, oder weniger dramatisch formuliert: durch Fragestellungen in den eigenen Recherchen wurde der Blick schon mehrfach auf Dinge gewendet, die vormals ohne Belang waren. Also die Kamera gezückt und versucht im Halbdämmern des Kirchengebäudes halbwegs passable Aufnahmen zu machen, was ohne Spezialobjektiv gar nicht so einfach war und dem Begleiter mit dem Smarty besser gelang – Sieg der Technik. Nach einigen Probebildern war der Sachverhalt klar. Der Zügel führte vom Pferdemaul mit einer Flickstelle an der rechten Seite des Pferdehalses vorbei zur gesenkten Linken des Reiters am Sattelbogen (seine erhobene Rechte hielt mit allbekanntem Griff den Rest des Tasselbands am eigenen Oberkörper). Rückseitig, vom Pferdehals verdeckt, wurde der Zügel stimmig zurück zum Maul des Pferdes geführt. Auf dem Leder waren kleine Metallbeschläge befestigt, welche den eng gesetzten grösseren Beschlägen auf dem steinernen Sattelbogen, dem Brustgurt des Pferdes und den kleineren Ausführungen auf dem Zaumzeug in ihrer länglichen Form ähnelten. Aber die gemeisselten Objekte waren deutlich erhaben, im Querschnitt halb röhrenförmig bis prismatisch ausgebildet. Eine angedeutete Befestigung war beim besten Willen nicht zu eruieren. Konnten die Metallausführungen zur Klärung beitragen? Eher wenig, denn jene lugten auf dem Leder über den Rand hinaus und hatten umgekrimpte Enden an Kopf und Fuß, von unten deutlich erkennbar, bei der steinernen Variante davon keine Spur, denn sie endeten an der Kante gerade abgeschnitten. Aha, also ein fake des 19. Jhs war der erste Gedanke. Denn es scheint unmöglich, daß beide Ausführungen gleichzeitig angebracht so deutlich voneinander abweichen konnten. Und tatsächlich, bei richtiger Perspektive, die Stufen zum Chor rauf und runter gewetzt, der Reiter hielt den Zügel gar nicht fest mit der linken Hand, sondern war ihm nur aufgelegt, er umklammerte etwas anderes aus Stein, deutlich fragmentiert, war es vielleicht der Rest eines Szepters - dafür war die Handhaltung aber zu lässig - oder saß hier der alte ursprüngliche Zügel?

Den aktuellen Dompublikationen war nichts zu entnehmen, um das entstandene Rätsel zu lösen. Also in Diskussion den Dom verlassend in Richtung auf die alte Hofhaltung. Kurz vor Toresschluß machte der Museums-Eintritt keinen Sinn, aber im Foyer ein wenig gestöbert und siehe da: Eine Postkarte mit historisierendem Gemälde einer Prozession im Dom von C.L. Tacke aus dem Jahr 1859. Die Abbildung zeigt den Reiter in seiner angestammten Haltung an ebensolchem Platz auf der Konsole, aber ein entscheidendes Detail war verändert. Er hält den Zügel, nun weisslich dargestellt, wie der Reiter selbst, keineswegs aus „fragilem“ Leder in der erhobenen Rechten ! Sehr ungewöhnlich, selten führte zu historischen Zeiten ein Reiter mit der Rechten, zumal der Bamberger auf dem Pferde damit beschäftigt war das Tasselband zu halten, eine solche Doppelaufgabe wirkt wenig glaubwürdig, vor allem wenn man sich den berühmten königlichen Reiter in Magdeburg in Erinnerung ruft, angeblich Otto I. darstellend. Jener hat das Tasselband am Halse geknotet, um die Hände frei zu haben, scheint mit der Rechten etwas zu übergeben und zügelt mit der Linken das Pferd, obwohl der Zügel selbst nicht erhalten, ist die Position der Hand eindeutig. Das Pferdegeschirr weist in Magdeburg keinerlei Zier auf. Aber durch stereotype Frisur und Blattkrone ergeben sich gewisse Ähnlichkeiten zum Bamberger, doch sollen keine Betrachtungen über mutmassliche Hintergründe zur jeweilig dargestellten Person eröffnet werden. Zum Bamberger Pendant scheint die Forschung nur mit Mühe die Richtung zu fassen und der Schlüssel wird mglw bei den Musterbüchern der Reimser Bauhütte zu suchen sein, die an verschiedenen Orten auch im Reich wirkte. Denn mit der frühen Darstellung des frz Königs Philippe II. Auguste in Reims um 1230 in auffälliger Art und Weise ähnlich, was Haltung und Ausstrahlung, Frisur und Blattkrone angeht, nur fehlt dort das Pferd (!), ist die Richtung vielleicht grob skizziert. Aber das sei künftigen Generationen vorbehalten, irgendwann gibt es den Fund, welcher die Forschung in ungeahnte Richtungen vorantreiben mag...

Nun gut, unser Rätsel über das Zaumzeug war keineswegs der Klärung nah, sondern wurde durch die Bildquelle des 19. Jhs, in der Hofhaltung gefunden, nur vergrössert. Am Eingang zum Hof hatte sich ein neuer Shop etabliert und bot Bücher antiquarisch feil. Nach kurzem Stöbern einen Ausstellungskatalog über „Bayern und Ungarn“ entdeckt, und siehe da: Ein Artikel zur Polychromie, also Malschichten, des Bamberger Reiters! Selbstverständlich war jener bemalt, bis zur barocken Weißtünchung und zur Anweisung des bayerischen Königs Ludwig I. 1836 den Dom in einen „ursprünglichen Zustand“ zu versetzen, jeden unnötigen barocken Zierrat zu entfernen. Nicht nur die Wände, sondern auch der Reiter wurde gleich mit abgeschrubbt, um dem „erhabenen“ Stein Geltung zu verleihen, die mittelalterlichen Farbschichten waren damit bis auf winzige Reste entfernt. Buch und Artikel interessant, also nach Kauf im Rucksack des Begleiters inventarisiert. Warum tauchte jener Artikel in dem besagten Ausstellungskatalog zu den Ungarn auf? Einer Deutung zufolge soll der Reiter den magyarischen König Stephan I. (967-1038) darstellen, welcher in Bamberg Ende des X. Jhs um die Hand der Tochter Heinrichs des Zänkers (gest. 995), damit Schwester des späteren Heinrichs II., nämlich Gisela, gefreit habe. Ihr Bruder Heinrich war zu dieser Zeit weder Kaiser, noch König, sondern Herzog von Bayern [in dieser Funktion mit Ordnungsnummer IV versehen, als König war er der II. Vertreter dieses Namens]. Stephan war noch der ungar. Fürstensohn Vajk/Waik und erhielt erst nach der Taufe den christlich-westlichen Namen. Damit verbunden wurde der Mythos, daß Stephan sich zur Heirat 996 mit der Christin habe taufen lassen müssen, was aber von den Ungarn als Mär deutscher Geschichtsschreibung abgetan und gänzlich anders betrachtet wird, da der magyarische Königssohn angeblich bereits seit der Kindheit getauft war. Dass nun ausgerechnet jener auf seinem Pferd in die heiligen Hallen des Heinrichs-Doms reitet, klingt für unsere Ohren eigenartig, denn selbst im spät christianisierten Ungarn könnte man meinen in hohen Kreisen wusste man, was sich gehörte. Oder war es gar üblich, dass Herrscher durch die ihnen zugedachte Pforte einritten? Ist der „Bamberger“ dafür ein Beleg? Pferde in der Kirche wurden schriftlichen Quellen nach eher mit gewissem Argwohn betrachtet und bildnerisch bevorzugt an den Aussenmauern dargestellt, in West-Frankreich mehrfach zu belegen. Im Kircheninnern erwähnen Quellen mit Graus und Schrecken vielmehr plündernde Scharen der Nordmannen oder säkularisierte frz Revolutionssoldaten, welche gewohnt waren Gotteshäuser umzufunktionieren.

Die Platzierung einer Reiterskulptur im Dom scheint in unseren Augen also ungewöhnlich und eigentlich billigte man ein solches „Reiterstück“ über Jahrhunderte nur dem Heiligen Martinus von Tours, wichtiger Patron der Franken, zu. Siehe als Vergleich den Bassenheimer Reiter von 1239c, auch sein Pferdegeschirr ist verziert, mit kleinen halbröhrenförmigen Beschlägen, allerdings in grösseren Abständen als in Bamberg, er ist ja auch kein König (mangelnde Krone), sondern der Legende nach lediglich röm Offizier. Sein kleiner Finger der linken Hand hält gekonnt den Zügel, der am Sattelbogen durch ein Führungsring gelenkt wird. Er zwingt sein Pferd zum Wenden, damit er dem Bettler hinter ihm einen Teil des Mantels geben kann, welcher mit der Linken auf Spannung gebracht wird, um den Stoff mit dem Schwert in der Rechten zu teilen. Der Realitätsgrad ist ungeheuer, angedeutete Beweglichkeit und damit Lebendigkeit übersteigt den Bamberger bei weitem, welcher im erstarrten Präsentationsgehabe „Fürstliches“ ausstrahlt. Eine Martins-Deutung scheidet in Bamberg vollkommen aus, da wohl ein Mantel getragen wird, aber sich hier eindeutig ein König mit Blattkrone zeigt, der allerdings weitere Insignien seiner Herrschaft, wie Szepter, Reichsapfel oder Schwert missen lässt, abgesehen von den Sporen, was den Aspekt des Reisenden zu Pferd betont. Vielleicht haben wir hier einen „Heiligen König“ mit Verweis auf Heinrich II. (heilig gesprochen 1147), aber er wird selten ohne Bart und auch nicht unbedingt schwarzhaarig, wie Farbreste ergaben, dargestellt. Heinrich steht aber bereits vor dem Dom und wacht über seinen Bau an der Adamspforte in Begleitung der Gattin Kunigunde. Der Reiter kann nicht eindeutig identifiziert werden, so mag auch Stephan I. (heilig gesprochen 1083) nach wie vor zur Diskussion stehen. Eine kurze Anmerkung zum möglichen „Reiter-Stephan“: Das Kloster Scheyern erhob Anspruch als Stätte der fürstlichen Heirat des Ungarn mit der Herzogstochter. Zugleich war der Ort „Geburtsstätte“ der Wittelsbacher (urspl. Grafen in Scheyern) und damit durchaus von Bedeutung, so dass eine spätere Manipulation von historischen Sachverhalten nicht ausgeschlossen scheint, unerheblich ob zugunsten Bambergs oder Scheyerns. Eigentlich müsste auch Regensburg ins Spiel kommen als Sitz der bayer. Herzöge und Gisela könnte von dort „Kriemhildengleich“ den Weg über die Donau in ihre neue Heimat angetreten haben, wo dann vermutlich eher die Heirat statt fand – Spekulation – Spekulation...

Da noch ein wenig Zeit bis zum Ladenschluß blieb, ging es in das Bamberger Antiquariat an der Brücke, um des Stöberns Willen. Und siehe da: Ein Eckchen mit Lokalgeschichte. Bereits beim vierten Griff schien das Rätsel um den Zügel einer Lösung nah! Nachdem zuvor mit den Textilien von Clemens II. im Dom beschäftigt, dann mit der Baugeschichte des Gebäudes befasst sowie einen Band mit hervorragenden Detailfotografien zum Reiter vom Anfang der 1960er begutachtet, fiel mir das Bändchen von Carsten Busch in die Hände. Dem war zu entnehmen, dass Kavallerieoffiziere 1922 den Dom zu Bamberg besuchten. Sie sahen den Reiter mit dem ledernen Zügel (!), aber ihnen fiel die ungewöhnliche Zügelhaltung des Reiters störend ins Auge: mit der erhobenen Rechten. So ließ der anwesende Weihbischof eine Leiter kommen und hängte den ledernen Zügel „kurzer Hand“ von rechts nach links um [Busch 2002, S. 45]. Der ursprüngliche mittelalterliche Zügel war aus Stuck gearbeitet, was das Fragment in des Reiters Linken erklärt sowie bei genauem Hinsehen Befestigungspunkte am Hals des Tieres! Um 1656, während der Barockisierung des Doms wurde er angeblich umgearbeitet, vor 1836 bei der Abreibung der Farbe des Reiters soll er ganz entfernt worden sein [Hartig 1939, Anmerk S. 150]. Er war aber auf dem Gemälde Tackes 1859 mit der seltsamen Haltung in der erhobenen rechten Hand wieder deutlich zu sehen, wurde letztendlich wohl in der 2. Hälfte des 19. Jhs durch die Montage eines beschlagenen Ledergurts ersetzt und auf Anregung der Kavallerieoffiziere in der Positionierung geändert. Damit sind uns als modernen, mittelalterliche Geschichte deutenden Betrachtern ein paar Stolpersteine in den Weg gelegt worden, denn vergangene Generationen hatten wenig Hemmungen historische Objekte nach ihrem Gutdünken umzufunktionieren...

...was für ein vergnüglicher und ereignisreicher Nachmittag !

Lit:

- W. Boeck, Der Bamberger Meister, Tübingen 1960

- C. Busch, Der Bamberger Reiter. Ein Lesebuch, Bamberg 2002

- O. Hartig, Der Bamberger Reiter und sein Geheimnis. Ein Beitrag zur Ideologie der hochmittelalterlichen Reiterdarstellung, Bamberg 1939



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