Ein verdammtes Loch


, sagte Hanns, hielt sich mit der linken Hand am Prellholz fest, verdrossen weiter geradeaus in die Ferne blickend, während er mit der kalten Rechten versuchte die Winde in den breiten Gurt zu haken, fingerte ein wenig herum, die Tasche mit Knaufmetz störte. „Da läßt sich kein Hundsfott blicken, es lohnt nicht die Armbrust zu spannen“, resignierte er.

Mon Dieu...“, grinste Ulrich leicht gekünstelt, sein Nachbar nur eine Scharte weiter „...oder wie sagt man hier?“ und blickte gen Himmel: „Wenn das anhält haben wir tatsächlich Ruhe.“ Ulrich schlug die Heuke, den Umhang, höher hinauf zum Kinn. Seine Hakenbüchse war gut eingewickelt an den Pfosten vom Dachgebälk gelehnt. Der gedeckte Wehrgang bot einigermassen Schutz vor dem eiskalten Wind, der ihnen Flocken ins Gesicht trieb. Drüben wollte man nicht sein, die Böen fegten alles durcheinander, Planen schlugen, Fahnen knatterten und blasser Rauch faserte tief durch die Schanzen, was so im Schneegestöber halt zu erkennen war.

Wirklich Grund zur überlegenen Freude fühlten sie allerdings nicht, die beiden Freunde aus Rotwil, Weggenossen seit Kindheitstagen. Nicht selten hatten sie in ihrer schwäbischen Heimat auf der Mauer gestanden, hoch über dem Nekker, in Gedanken der Blick über das Handwerkerviertel in der Flußschleife ging, weit in die grünen Auen und sich gen Sonnenaufgang an den Hügeln der anderen Talseite brach, grüne Auen...Damals war die Welt noch in Ordnung. Hier war alles grau, schlammig, ein wenig braun, ein bißchen weiss, alles fahl, alles kahl, nichts grün und nichts war friedlich. Nur im Moment hatte das Morden den Atem angehalten. Doch zum Feiern war ihnen nicht zumute, heute, am Vorabend zu den Hilligen drei Kunnigen.

Hanns drückte den Wollschal tiefer in den Kragen des feuchten Gamboisons von rot-weisser Farbe, der leicht säuerlich nach Pferd roch. Er hob die Nase und sog tief die kalte Luft ein, spürte das Kribbeln bis unter die Kopfhaut. Es juckte, den flachen Eisenhut abnehmend kratzte er im verklebt strähnigen Haar, diese verdammten Läuse und diese verdammten Burgunder. Er wusste nicht was schlimmer war. Sie hatten die Hoffnung schon fast aufgegeben. Wann kam denn endlich der Entsatz? Keiner wusste wie lange die Vorräte reichen mussten, noch war genug da, nur Wasser knapp, na, zum Waschen reichte es eben kaum. Das Grundwasser war brackig, verschmutzt und Feuerholz rar. Man fing Wasser von den Dächern auf mit Planen, in Fässern und Zisternen, dann war alles vereist und nun schaufelte man Schnee zusammen. Es langte so gerade. Hier hockten Tausende in der Falle, wegen dem Lothringer, dem sie als Reisläufer gefolgt, er zahlte gut, aber was halfs, jetzt sass man hier fest, in diesem Rattenloch, aus dem man im Oktober die englisch-burgundische Garnison geworfen hatte.

Woher hat Karl bloß so schnell ein Heer auftreiben können“, fragte sich Hanns, kratzte am stoppeligen Kinn, zog den Helmriemen drüber, riss kurz den Mund auf und zeigte die gelben Zähne: „Zweimal alles verloren und schon wieder ist er da, das geht doch nicht mit rechten Dingen zu.“

Ulrich erwiderte mit einem Nicken in Richtung der Schanzen: „Sein Vorrat ist unerschöpflich, er hat Geld wie Heu, die reichen Städter der Niederen Lande überschütten ihn nur so mit Gold, man folgt ihm gern, scheinends, denn Glück heftet an seinen Fahnen nicht.“

Hanns lauter werdend: „Er ist mit dem Teufel im Bunde...“ - Stille, nur der Wind heulte durch die Pforten: „...pah, er ist der Satan, die Ausgeburt der Hölle.“

Ulrichs Kopf flog rum: „Na, so was sagt man nicht, auch wenns der ärgsten Feinden einer. Er ist rachsüchtig und hochmütig, wie alle Burgunden.“ Ja ein Arger, war er schon, dachte er dabei und laut: “Grandsonieren wird er uns nicht, wir stehen die Sache durch, wie die Murtener und was das Weibsvolk von Beauvais kann, können wie auch.“

Sein Gegenüber nickte: “Grandson, das ging nicht sauber ab, Murten hielt stand, weil so schnell Entsatz da war, die ersten Breschen waren schon geschossen. Ich habs nach der Schlacht gesehen, mit eigenen Augen.“

Ulrich erwiderte: „Ja, die Bündner waren schnell damals. Aber was interessiert sie Lothringen, so weit von zu Hause weg, ihren geliebten Bergen, dafür schicken sie keinen lahmen Hund vor die Türe. Wenn ihre Grenzen nicht verletzt, brennen die Signalfeuer nicht und außerdem sind sie satt nach der vielen Beute, ne, wenn das Reich nicht kommt, wird’s schwer. Der Franzmann läßt lieber kämpfen und wartet ab, der vergeudet kein Blut und die Schwingen des Habsburger Aars sind lahm geworden, der hat sowieso kein Geld.“



Erst der Regen, dann der Schnee, verdammter Winter, so früh und so hart. Die gegenseitigen Schmährufe von den Zinnen und aus den Schanzen waren verstummt. Nur der Wind sang eintönig sein kaltes Lied, riss an der Plane, Flocken wirbelten herein, der Eingang war aufgeschlagen, sie schauten müde auf, manche tief eingemummelt, bloß die Augenschlitze frei, kränklich der Blick, einige husteten, der Atem gefror fast vor dem Mund. „Ich muss sowieso mal pissen“, sagte Jean in das Heulen des Windes und schälte sich aus den Decken und Fellen. „Warte ich komme mit...“, rackerte sich auch der Kleine aus dem Morvan hoch: „...eiskalt die Knochen, alles schmerzt...ein wenig Bewegung wird gut tun.“

Als sie mit halb erstarrten Füßen stapfend vor das Zelt traten, traf der Wind sie mit voller Wucht: „Bei St. Bartholomä..., das nimmt ja fast den Atem, Saukälte“. Das Feuer war schon lange aus, trockenes Feuerholz gab´s nirgendwo mehr und für das nasse hatte keiner Geduld, solange in der Kälte hocken, also verzog man sich besser unter die Decken. Jean verschloss das Zelt sorgfältig, kam hoch, reckte sich und schlug mit den Armen. Die Jack-Chains klingelten, mahnten ihn, daß er sie ausbessern wollte...aber nicht heute. Umhang drüber, hochgeschlagen, Helm auf, man wusste ja nie.

Die Fahnen und Flaggen mit Andreaskreuz und Feuerstahl knatterten, hoch aufgereckt Piken in den Ständern, Kisten, Kästen, Planen, Holz verstreut, eine Türe, halb zerschlagen, viel Ordnung war nicht, dahinter Fässer und Kochstellen. Es roch nach Kuhdung und verfaultem Stroh. Auf dem Weg zu den Stallungen fiel der Blick auf die nass glänzenden Eisenringe der Rohre, die Spundlöcher sorgfältig abgedeckt und mit Wachs versiegelt, die Blendpforten geschlossen, wie er es befohlen hatte, na wenigstens das funktionierte. Zwei stammten noch aus der Lüttich-Beute, fein geschmiedet, an der Maas verstand man sein Handwerk. Schad drum, zu sehen wie die Bettung der Lafettenkisten tief im Schlamm festfroren, aber auch die Steinkugeln, nach Rohrgröße sortiert. Sie würde man frei brennen müssen, die teuren Eisenkugeln lagen gefettet ein Stück weiter hinten unter der Plane. Ihr Schuß war wirkungsvoller, verbrauchte aber mehr Pulver. Heute gab es nichts. Sie würden drüben ihre Ruhe behalten, doch morgen sollte es Rabatz geben, der Angriff war befohlen, Sturmleitern und Schutzwände waren bereitet.

Jean bellte den Posten an, welcher wankte und zusammen fuhr, erschrocken mit großen Augen unter dem Rand des Helms hervor spähte: „Gib acht, du Grünschnabel, hab´s gesehen, warst gerade ganz woanders, drüben ist der Feind wachsam, halt verdammt nochmal Ausschau, son Bolzen ist schneller als Dein lahmes Hirn denken kann und selbst für Dich Krümel ist drüben einer gemacht. Du meldest Dich nach der Wache bei mir. Dann legen wir eine Sonderübung ein, damit Du siehst was es heißt nicht aufmerksam zu sein. Wenn das noch einmal passiert, wirst du den Riemen schmecken.“

Zerknischt ging es ihm durch den Kopf: Das sind nicht mehr die Jungs von früher, wie stolz sind wir ausgezogen damals, die Lanzen mit Mann, Roß und Pagen. Die gesamte Ritterschaft, die Reisigen aus Italien, vom Niederrhein und aus dem Gelderland, die Piken aus Flandern und Brabant, die Armbruster aus dem Hennegau und Artois, die Stadtwäppner Flanderns und Dijons und die englischen Bogner. Mon Dieu, soviel Roß und Wagen, soviel Bombarden, Culverinen und Schlangen, die Todtenorgeln, sowas hatte die Welt noch nicht gesehen. Was haben wir dem Ludwig auf´s Haupt geschlagen, in Dinant und in Lüttich hat man das Lachen verlernt, doch Neuss war mies, der Herzog hatte sich verbissen und damit alles verspielt. Nur um den Kaiser Macht abzutrotzen. England stand bereit, Ludwig wärs endgültig an den Kragen gegangen. Hätte Breisach des Hagenbachers Kopf nicht auf den Richtblock gedrückt wär vielleicht alles anders gekommen? Mit dem Herzog ist halt nicht zu spassen, ne, verärgern sollte man ihn nicht, den Landvogt einfach beiseite schaffen und hinzu noch foltern, wie einen Gemeinen, wo kommen wir denn da hin und dann die frechen Eidgenossen, haben überall die Griffel drin.

Jean schüttelte den Schuh, das Eis der Pfütze hatte nicht gehalten, fluchte laut: „Verdammt, auch noch nasse Füße. Hoffentlich ist die Sache hier bald durchgestanden, mitten in diesem Scheiß-Winter...,“ hielt inne, verschloss den Mund und dachte: ...und das nur um dem Lothringer eins auszuwischen. Karl pflegte seine Feldzüge früh im Jahr zu beginnen. Im Februar 71 waren sie in der Pircardie, im Februar letzten Jahres über die Jura-Päße gezogen, grausame Kälte, aber damals hat`s was gebracht. Das von den Eidgenossen genommene Grandson fiel ihnen wie eine reife Frucht in den Schoß, der Zorn des Herzogs, sein Schrei nach Rache war unerbittlich, da baumelten sie wie Herbstes Blätter an den Bäumen und ersäuft wie Katzen hat er sie, damals bei Grandson.

Und laut fügte er an: „Winterfeldzüge überraschen jeden Gegner, doch ist man selbst vor Überraschungen nicht gefeit, man hat immer einen Feind mehr als man zählen kann.“ Der Kleine aus dem Morvan hatte aufgeholt, denn nur mühsam hielt er Schritt, blickte ihn von der Seite an und keuchte: „Na, viele bleiben lieber mit dem Arsch im Warmen, wie die Eidgenossen, diese Kuhmelker und Sennbuben.“

Jean blickte leicht zornig und gab grimmig Antwort: „Nicht ganz, nicht ganz, dafür haben sie uns ordentlich zusammengeschrubbt bei Murten. Schon bei Concise zeigten sie was in ihnen steckt, harte Burschen, ängstlich sind die nicht, das gesamte Lager verloren damals, die Wagen, kostbares Zeug und manche Stücke, so ein Mist, ein herbes Durcheinander...“.

Jean schwieg sich erinnernd einige Schritte und sagte dann: „Bei Murten hat der Herzog alle nervös gemacht mit seinen blöden Fehlalarmen, das war unnötig und zehrt nur an den Nerven, nicht gut, gar nicht gut...und dann der scheiß Regen. Die Bündner waren so schnell damals, hätte ihnen niemand zugetraut, aus dem Marsch heraus...wir hörten das andauernde Feuern, als wir dazu kamen war die Schanze im Haag bereits gefallen, die Kanoniere massakriert, alle übrigen fluteten zurück, die Reiter konnten´s nicht richten und die Bogner nicht, auch wenn´s die letzten waren, welche standen, Ordnung war keine mehr, rette sich wer kann..., Fehler über Fehler.“

Und in Gedanken: Man kann es kaum glauben, daß wir zum dritten Mal wieder raus sind, in so kurzer Zeit. Aber viel ist kaum mehr übrig, eine große Streitmacht ist das nicht, einige sind krank, manche ohne Waffen, die Stimmung und Ausrüstung schlecht, Verluste und Ausfälle bei dem strengen Wetter hoch. Allein nach der eisigen Weihnachtsnacht haben wir Dutzende von Leichen heraus gezogen, erfroren.

Wenn Jean sich an das Lager vor Neuss erinnerte, welch eine Pracht, da war Zucht. Fast ein Jahr vor der Stadt, aber mit Zucht, nicht so ein Sauhaufen wie hier. Der harte Kern, ordentlich geschrumpft, die alten Kämpen...wo sind sie? Und mit einem leichten Anflug von Resignation dachte er an Gorkum, als Karl erfuhr, daß sein Vater ihm alle Einkünfte genommen. So stand er da, barhäuptig, vor dem gesamten Hof, vor den Stallburschen, den Küchenjungen und Mägden, allen Bediensteten und den stolzen Vasallen, klagte sein Mißgeschick und entließ jeden aus dem Dienst der wolle, da er nicht mehr zahlen könne, doch keiner ging, manche fielen auf die Knie, hatten Tränen in den Augen, auch die Graubärte, mit starrem Gesicht, drückten den Helmrand ein wenig nach unten,... Mägde und Burschen schrien: Nous tous, nous tous, monseigneur, vivrons avecques vous et mourrons...leben und sterben, was wussten die schon...alle waren bereit mit ihm durch dick und dünn zu gehen...und so ist es nun gekommen...

Sie ließen die Reste des abgebrochenen Hofs links liegen, dahinter waren die Latrinen, nicht einsehbar von den Mauern aus. Der Geruch war nicht so brutal wie gewohnt, manchmal hatte ein Winter auch seine Vorzüge. Als sie gerade dabei waren sich zu erleichtern, durchbrach ein gellend langer Ton das Heulen des Windes: „Was war denn das? Hast Du das Horn gehört? Verdammt, mach fertig, wir müssen zurück...“.

Den Hosenlatz zunestelnd eilten sie mehr schlitternd, denn laufend über den halbgefrorenen schlammigen Boden des Lagers zur Schanze. Auch andere hatten die Signale vernommen, Stimmen überall. Das konnte doch nicht sein, nicht heute, nicht bei diesem Wetter, verdammt, das war ein Harsthorn, der Ruf war ihm bekannt. Schon von weitem schrie Jean seinen Leuten kräftig zu: „Auf Jungs, raus, alle raus, zu den Waffen. Die Bündner kommen, raus, Alarm, schlagt Alarm.“

Immer mehr Bewegung kam auf. Fluchend rafften sich die Männer hoch, Husten, heisere Befehle, Trommeln und die ersten eigenen Hornsignale, die zum Sammeln riefen. In der Stadt begann eine Glocke zu erklingen, erste eine, dann fielen die großen Glocken mit ein. Bald läutete die ganze Stadt Sturm, zur Freude über den nahen Entsatz.

Jean versuchte seine Männer anzutreiben. Sie mussten so schnell wie möglich in Ordo kommen. Die nutzlosen Bombarden im Rücken, mit den Armen dirigierend, damit sein Haufen in Marsch kam. Der Bolzen flog. Jean schrie seine Kommandos heraus, fuchtelte mit den Armen, da brach seine Stimme ab. Ein dumpfes Geräusch, ein trockenes Kracken, die vierkantige eiserne Spitze lugte durch das Holz der Geschützpforte. Jeans Blick ging ruckartig zur Seite, verdammt er hatte seine eigenen Befehle missachtet jederzeit wachsam zu sein...




zurück auf die Seite XV-XVI 1450-1520



© Alle Rechte vorbehalten. Die Inhalte dieser Seiten sind urheberrechtlich geschützt für Christian Dietz / DRAGAL. Jede Verwertung ausserhalb der engen Grenzen des Urheberschutzrechtes ist unzulässig. Erstfassung März 2021, letzte Bearbeitung 2022-11-19