Burgenleute


...er hatte den Zügel gezogen, sein Pferd angehalten und den Helm mit dem ledernen Nackenschutz abgenommen, schob die verschwitzten Haare mit der Hand zur Seite und schaute stirnrunzelnd über die Schulter zurück auf die Spitze des langen Zuges, für dessen Vortrab er die Verantwortung trug. „Wir waren zu langsam“, dachte er und Wighart, eine Pferdelänge seitwärts, sprach aus was ihm gerade durch den Kopf gegangen. Er nickte dem alten Kämpen zu, auf dessen lockigem Haupt sich inzwischen deutlich mehr graue als dunkelblonde Haare zeigten, die besten Jahre waren vorbei, aber auf sein Wort konnte man sich mehr denn je verlassen, wie noch immer auf die Kraft seines Arms.

Wighart blickte sich um: „Es wird heute noch regnen, wir können die Furt nicht mehr erreichen...“. Er folgte dessen Blick zum Himmel. Die Wolken zogen sich zusammen, hinter ihnen wurde es immer dunkler, die Böen kamen heftiger und es roch staubig und trocken nach verbrannter Luft. Die Furt, sie würde den Zug schon eine Weile beschäftigen, bis alle Karren und Tiere auf die andere Seite gebracht waren. „Es ist ratsam am hiesigen Ufer ein festes Lager aufzuschlagen, das nächste dann jenseits, so daß sich die Möglichkeit zur längeren Rast gäbe, es wird uns gut tun, das Vieh getränkt, der Mann gestärkt“, sagte sein erfahrener Begleiter. Er nickte anordnend: „Nimm Dir den Trupp von Gundobad und reite voraus. Besetze die Tränke, stecke einen Lagerplatz für den morgigen Tag, so wie die Römlinge es machen, schicke Kunde und eile.“

Wighart hob kurz die Lanze und winkte damit einem der nächsten Reitertrupps zu. Sofort spornten die Männer ihre Gäule und preschten los in Richtung auf den Wald voraus. Endlich gab es was zu tun. Die verdammten zweirädigen Ochsenkarren mit den Frauen und Alten waren wirklich zu langsam, da schliefen die Pferde ja im Gehen ein.

Zur Rechten waren schon seit ein paar Tagen große bewaldete Hügel und Berge zu sehen, die nun erreicht, sich lang hinziehend in Richtung auf Sunnas Untergang, zur Linken ragten jetzt ebenfalls hohe bewaldete Bergkuppen auf, durch dieses Ör mussten sie durch, irgendwo dahinter kam die Furt. Der Durchzug war mit semnonischen Fürsten ausgehandelt und als Garant ritt einer von ihnen, vornehm gekleidet, mit seinen Mannen ein Stück entfernt. Er mochte ihn nicht. Die schwarzen Haare und starrenden Augen machten ihn unsympathisch, ausdrucklos das Gesicht, eine eigenartige Mischung, wortkarg und herrisch, wirklich niemand, mit dem man warm werden konnte, obwohl sie doch ein paarmal den Tisch geteilt hatten. Dessen Augen waren überall und argwöhnisch betrachtete jener den langen Zug. „Wenn Freunde schon so feindlich gesinnt waren, was würde uns am Rhenus erwarten?“

Rom wusste von ihrem Kommen. Nach Jahren des Krieges und Kämpfen hatte man Frieden geschlossen. Sippen die voraus gezogen waren hatten Verträge ausgehandelt und Land bekommen. Aber wir hörten auch, was man von solchen Verträgen halten konnte. Was hatten sie damals mit den Ansiwaren gemacht, von deren Gegnern, den Chauken am wilden Meer, das die Römlinge oceanos nannten, vor sich her getrieben, erwarteten die Legionen sie mit Speer und Schild. Dabei hatten sie doch nur um Schutz und Land gebeten, herrenloses Land. Was damals überall verkündet blieb unvergessen, zog weite Runde, wurde allen Kunde, die Götter hatten das Volk von Rom als oberste Richter auf Erden gesetzt. Es sei auserkoren, daß jeder sich seinem Schiedsspruch unterwerfe, hinreichend haben sie es unter Beweis gestellt. Zwei Mannesalter war es her, daß Legionen unweit von hier nach Norden zogen, Sueben zu strafen. Die Kundschafter sagten, daß einer ihrer Siegesorte nur wenige Tagesmärsche voraus mahnt, dort wo Kämpfe auf einem Hügelrücken stattfanden.

Aber die Zeiten waren im Wandel. Die Sueben hatten sich gerächt, wie Rache eben Rache zeugt, ihnen gelang, was vielen mißlang. Sie vermochten den Römlingen Land mit der Waffe abzutrotzen, fielen ins Reich ein und waren nun Herren südlich des Moenus (Main) bis an den Rand der großen Berge auf gut bestellten Äckern, mit wunderbarem Vieh, grösser als das seinige. Er hatte es mit eigenen Augen gesehen, als sie fast einen Mond lang ritten und spähten, nachdem ihre Gesandtschaft damals von Mogontiacum aufgebrochen war, um gen mittag auf geheimem Umweg im weiten Bogen in eigene Gefilde zurück zu kehren. Nach Überschreitung des Moenus an der Furt mit den glitschigen breiten Steinplatten unter Wasser, denn die Holzbrücke am vicus bestand nur noch aus verkohlten Resten, kamen sie ins Gebiet der siegreichen Sueben und die Römlinge mussten jene gewähren lassen. Duldeten, daß sie sich an ehemaligen Römerstätten einrichteten, villae und burgi übernahmen, Glück für jene.

Aber noch viel unglaublicher war, was man damals am Rhenus gesehen hatte. Sie wollten es daheim nicht glauben, so etwas war nicht vorstellbar. Was für einen großen Eindruck hatte die Mauer aus Stein hinterlassen, fast 30 Fuß hoch, mit Zinnen und halbrunden gedeckten Türmen sowie festen Toren, alles gerade neu errichtet. Die Römlinge vermochten Steine zu brennen, wie Seinesgleichen Töpfe. Daraus errichteten sie gewaltige Bauwerke. Die Wände wurden hell verputzt, ähnlich wie das Flechtwerk der Hütten in seiner Heimat. Wenn nicht genügend Material zur Verfügung stand, nahm man alte Steine oder steinerne Objekte und fügte sie in den Bau. Oben auf leicht erhöhtem Plateau lag die Kaserne aus gebranntem Stein. Von da hatte man einen großartigen Blick auf die grosse Ansammlung von Häusern, sie nannten es Kivitas, oder so ähnlich. Die gewaltige Mauer umschloss den größten Teil, tiefe Gräben davor, an den Ausfallstrassen beiderseits Ansammlungen von Handwerkerhütten und gen mittag pompöse Grabanlagen, auch aus Stein, keine Erdhügel. Weit in die Ferne reichend gab es eine große steinerne Bogenkonstruktion, „Akquell-irgendwas“ - manchmal war es schwer die Römlinge zu verstehen und der Dolmetscher vom Stamm der Mattiacer, die einst hier siedelten - er hatte vorher noch nie von ihnen gehört – sprach in eigenartiger Mundart. Auf jeden Fall brachte das Bauwerk Trinkwasser aus einer Quelle von weit her. Vor ihnen lag dieses unglaublich große Dorf, aber es waren keine Stroh gedeckten Hütten, man schaute auf stabile Häuser mit roten Dächern aus gebranntem Tonplatten, die Wege sauber angeordnet in kreuzenden Zügen und auf ein Gewimmel an Menschen, es war eine bewehrte Festung am Ufer des Stroms mit einer Brücke, länger und breiter als die zerstörte am Moenus, in den tragenden Teilen aus Stein, darüber Bögen und Geländer aus Holz. Wollte ein großes Schiff unter der Brücke durch, konnte man eine Rampe hochziehen, denn es gab Schiffe und Boote überall, gerudert oder unter Segel, Anleger für Handelsschiffe und flussabwärts konnte man den Standort der Flusspatrouille sehen. Am anderen Ufer gen Sonnenaufgang lag ein burgus, unweit davon mündete der Moenus und in der Ferne leicht geschwungene Höhenzüge, also ein weiter Talkessel. Wenn etwas imposant war, dann war es das hier. Die Lage war sehr gut, mit viel Verstand gewählt. Und angeblich sollte es hunderte solcher Orte im Reich geben - das konnte ja gar nicht sein. Viel weiter Rhenus abwärts, in der benachbarten Provinz, läge an flachen Ufern ein kaum an Pracht nachstehender Ort und ein Stück gen Sonnenuntergang an dem gewundenen Fluß, Mosellus oder so ähnlich, mit steilen Berghängen sogar eine Residenz des Kaisers, fast so groß wie Rom - das hier war ja „nur“ die Residenz des Provinzstatthalters. Allen Anwesenden standen die Münder offen, mit Genugtuung quittierten es die römischen Begleiter. Es gab ein teatrum, wie sie es nannten, ebenfalls aus Stein, tief in den Hang gebaut, wohin einmal im Jahr alle untergebenen Stämme der Provinzen zitiert, um Rom in Demut zu huldigen. Zwölf handvoll Völkerschaften aus Gallien sollten es sein, gab es dort soviele Stämme? Eigentlich war es für Schaupiele gedacht, Schauspiele? - vermutlich Götteropfer. Ihre Götter waren nicht die unsrigen, überall präsent, hier war wirklich alles anders. Ein Gott war selbst der Kaiser, von dem es inzwischen mehrere geben soll – der Römer war sich selber Feind, wer blickte da noch durch?

Nach Rundgang und öffentlichem Empfang herrschte in der Gesandtschaft wahrnehmbares Schweigen. Sie hatte alles erduldet und Maß gehalten, obwohl man sie wohl betrunken machen wollte, aber das gegorene Trauben-Gesöff der Römer war mit Wasser gepanscht, lächerlich. Jeder legte sich gedankenschwer schlafen, musste verarbeiten was er gesehen. Mit welch einer Macht hatte man es zu tun, welch eine verschwenderische Pracht, welch ein Reichtum, welch ein Luxus? Durch die Luken der Hütten fiel auch im geschlossenen Zustand Licht herein, sie hatten undurchsichtiges Glas in kleinen Scheiben verbaut, von kleinen Metallstreben gestützt. Das Innere der Räume war in leichtes Grün getaucht, aber man konnte alles mit Tages Helle wahrnehmen. Wir kannten kostbare Glasbecher und -krüge der Römer, aber ahnten nicht, daß man dieses Material auch so verwenden konnte. Und es gab so viel mehr erstaunliche Dinge, welche die meisten für sich behielten. Denn bald galt man zu Hause als Aufschneider, sollten sie es doch selbst überprüfen … In diesen Bannkreis würden seine Leute nun treten, im Vorland der Grenze zukünftig mit der Sippe Quartier beziehen und bereits siedelnde Stammesangehörige verstärken. Es war gutes Land, ehemalig den Chattii gehörend, das die Römlinge ihnen nahmen, dort Ortschaften errichteten und nun verfallen ließen, seitdem sie sich hinter den Rhenus zurückziehen mussten. Man sagte der Boden sei fruchtbar, von Bergen gerahmt und vor Unbill geschützt, eine gute Bleibe. Durchzogen von einigen viae, so nannte man ausgebaute breite Plattenwege mit seitlichen Abwassergräben, auf denen sich zügig Marschieren und Reisen ließ, keine verschlammten Pfade und burgi aus Stein, welche nun durch ihre sachkundigen Meister mit Hilfe seines Stammes wieder in Stand gesetzt wurden, damit dort Quartier bezogen werden konnte. Damit war die Aufgabe klar. Sie würden Bundesgenossen werden, ohne Last und Steuern, dafür im Vorfeld des Rhenus in Wehr und Waffen, mit heiligem Eid, bei Leib und Leben. Die Römlinge schrieben für sich mit Griffeln und Tinte auf helle Blätter, die sich aufrollten, alles wurde dauerhaft festgehalten, für wen? Als er mitbekam, daß jemand anderes, der den Versammlungen nicht beigewohnt hatte, jedes Wort was gesagt worden war den Rollen entnehmen konnte, dämmerte es ihm. Man schrieb für den Augenblick und man hatte auch über die Vergangenheit geschrieben, nicht nur ein paar geritzte Buchstaben, sondern viele aneinander gereihte Wörter. Die Geschichte ihres Volkes war von Anbeginn der Zeiten sehr genau in Erinnerung! Es gab wohl eine Wölfin, es gab Könige, Streit mit den Nachbarn und die Unterwerfung großer gefährlicher Gegner und immer war man siegreich geblieben, soviel hatte er verstanden, wo auch immer sich das abgespielt haben mag? Somit behielten keineswegs nur deren Sänger alte Geschichten im Kopf und trugen sie vor, sondern sie waren für alle verfügbar, welche die Schriften entziffern konnten, das war schier unglaublich... Auf jeden Fall wurde ein Pakt geschlossen, von dem beide Seiten zu profitieren gedachten, aber vermutlich wollten die Römlinge mehr und ihr altes Land zurück gewinnen, wir sollten ihnen dabei nur helfen und uns für sie schlagen – das galt abzuwarten.

Über allem lag Haß in der Welt. Niemand war jemandes Freund. Wie die Alten erzählten herrschte in der alten Heimat Unfrieden seit die verdammten Gauten aus Hels Gefilden gekommen waren. Immer drängten sie den Nachbarn, verwüsteten die Felder, stahlen die Ernte, raubten das Vieh, solange bis man nicht mehr über den Winter kommen konnte und ihnen Platz zum Siedeln überließ, übers Meer kamen ständig Nachzügler und es wurden immer mehr. Niemand bot ihnen Einhalt. Ganz im Gegenteil, was ihnen genommen, holten sich die Nachbarn von den Nachbarn, eine Frage des Überlebens. Es war nie gutes Auskommen, zuviel Streit gab es, wie damals um die Isenfelder, soviel Blut floß, wie konnte es da eine Zukunft geben? Reichtum hatte es keinen, immer war Mangel, die Winter zu lang, die freudvollen Sommer zu kurz, der Feind zu mächtig. Nun verlangte jener Zins, wofür? Warum sollte von den Vorvätern Feldern die karge Ernte abgezweigt werden nach dem Belieben eines Stärkeren? Wer sich unterwerfen wollte blieb, die anderen begaben sich auf den Zug ins Ungewisse. Es gab nichts zu verlieren, aber mit Geschick alles zu gewinnen. Nur der römische Statthalter war das Problem, konnte man jenem trauen? Hatte nicht sein Oheim, Führer der Gesandtschaft, zur Besiegelung des Vertrags die kostbare Spatha mit den roten Riemen und silbernen Beschlägen erhalten? War es nicht eine Anerkennung wie an Sohnes statt? Aber irgendetwas stimmte nicht. Die Römlinge waren herrisch und kalt, sie behandelten uns wie Tiere, deren man bedurfte aber weit unter ihnen stehend, ihre Arroganz unerträglich, doch es galt sie zu ertragen, denn es ging um soviel mehr...

Scharf riss er am Zügel nach rechts, der Kopf seines Rosses, in dessen Maulwinkel der Knebel biss, zog mit und er wendete das Pferd. Er ließ nach und die Mähne schüttelte hin und her. Einige der zweirädigen Karren waren nun schon an ihm vorbei gezogen, voll bepackt, große Bündel und Säcke hingen aussen an der Bordwand, so daß die Räder kaum noch zu sehen waren. Lahm trotteten die Ochsen, brüllten, Peitschen knallten, Fliegen stoben auf, Metall klirrte, die Ziegen meckerten, ein Kessel schlug, müde sassen die Lenker auf den Böcken, liessen sich auf der schlechten Wegstrecke hin und her schaukeln, die meisten Gespräche waren verstummt. Ein langer Tag neigte sich dem Ende und die Kräfte ließen nach. Der Blick ging über den Zug, konnte das Ende nicht fassen, über die staubigen Mannen, die neben den Karren trotteten, mit Bündeln bepackt, sich auf die Lanzen stützend, verdreckt vom Scheitel bis zur Sohle. Als sie merkten, wohin seine Augen schweiften, rissen sie sich zusammen, strafften den Rücken, für heute war es ja bald geschafft. Er nickte, wie zur Bestätigung, wusste, daß mit diesen Mannen was anzufangen sei. Sollte es zum Schlagen kommen, würde man sich zu wehren wissen und es gab beständig Zuwachs. Nur die Legionen konnte man nicht überwinden, in offener Feldschlacht unmöglich, hieß es. Also galt es den Befehlen Roms zu gehorchen, für ein Stück Land, für Getreide, für eine Zukunft. Die Kunde wohin es ging, eilte dem Zug voraus. Es schlossen sich einige brauchbare Kerle an, auch neue Familien, das machte es für alle nicht leichter, die Vorräte schwanden, die Rationen karg, zuviele halbleere Mägen. Hunger war ein schlechter Begleiter, erst machte er rasend, dann nahm er jede Kraft.

Godomar, Oheim und Führer der Sippschaft, kam mit seinen Getreuen langsam auf ihn zugeritten mit finsterer Miene, im Blick lag Vorwurf, daß sie so langsam voran gekommen waren. Die Karren sollen zusammen fahren“, befahl Godomar harsch, „bevor hier gleich alles im Schlamm versinkt“ und schob den Helm ein wenig nach hinten, blickte zum Himmel: „Wodan scheint uns nicht gesonnen, er wünscht heute nacht wohl Unterhaltung für seine Jagdgesellschaft“, das Gesicht blieb finster. Er wusste die Launen des Oheims zu nehmen und machte sich nichts draus, blickte bestätigend nach oben: „Ja, es sieht nach Sturm aus. Ich habe Wighart zur Furt gewiesen...“ Godomar fiel ihm ins Wort: „Schick die Knechte in den Wald voraus Feuerholz sammeln, solange es noch trocken ist“ und wendete das Pferd, als Meginwart auf sie zugeprescht kam, mit nicht weniger sorgenvollem Gesicht. „Der auch noch“, dachte er und wollte sich schon abwenden, um den Holztrupp zusammen zu stellen.

Meginwart hatte schon heute morgen gewarnt, ihm war wohl klar, daß sie die Wegstrecke falsch einschätzten, der angestrebte Platz an der Furt unerreichbar. Er besprach sich nun mit Godomar. Meginwart war Camerarius - Quartiermacher und hatte seine Künste jenseits des Rhenus gelernt. „Musste der Kerl immer Recht behalten“, zischte er, schnalzte und wandte sich mit leichtem Sporendruck den Karren zu. Es war klar, daß es noch ein Weilchen dauern würde bis die Letzten ihren Platz gefunden hatten und dann im Stockdunklen rangieren mussten, keine leichte Aufgabe. Dann würden sie sich auf und unter dem jeweiligen Gefährt ihr Nachtlager einrichten. Diesen großen Haufen Menschen zu dirigieren war überhaupt nicht leicht, schließlich wollte jeder irgendwas, doch nie dasselbe, es war eben keine Legion, mit Disziplin und Ordnung. Auf das Gefolge war verlass, erprobte Mannen, die Familien eine Last. „Weiter oberhalb ist eine Quelle. Wenn wir Planen aufspannen und das Regenwasser fangen, wird beides wohl für heute reichen“, sagte Meginwart vorgebeugt und tätschelte seinem Pferd den Hals. Zur Spatha am Schulterriemen trug jener einen schicken Römergurt, in den Reststrahlen der Sonne blinkten silberne Beschläge. An ihm vorbei trabend sagte er ohne Eifer: „Ich habe Wighart voraus geschickt, er wird den Übergang an der Furt vorbereiten...“, doch keiner wollte es hören. Godomar rief ihm nach: „Lass die Planen bringen und eile. Ich habe keine Lust auf nasse Füße.“ Der eitle Meginwart nickte und wendete das tänzelnde Ross, hielt auf die Karren zu. Von der Seite näherte sich bereits der marschalk des Oheims, führte die Leitstute mit der Glocke, unüberhörbar, die Ersatzpferde stoben mit ihm in einer Wolke Staub heran, ausgeruht und fast ohne Last. Denn es war immer wichtig auch ausgeruhte Rösser zu haben, wenn´s ernst werden sollte.

Ah, da ist ja auch der Herr der kleinen Freuden...“, hörte er noch wie der Oheim seinen Narren begrüsste, welcher auf einer knochigen Kuh sass, wohl mit schmerzendem Hintern hin und her rutschend. Noch immer nagte er an dem Stück Knochen, dem er bereits heute morgen das Mark ausgesogen. Es war wie immer erheiternd den kleinen Mann mit den üblich unbeholfenen Faxen zu sehen. Godomar ritt an ihn heran und er bekam noch mit wie er jenen betont frostig empfing: „...unser Wodansopfer, müssen ihn besänftigen, den himmlischen Herrn, damit er keinen Schaden tut heut nacht, such Dir da hinten schon mal eine schicke Eiche, Du Wurm.“ Im Gelächter der übrigen tat der Narr gespielt erschrocken und fing zu zetern an, so waren diese Erheiterungen doch immer die gleichen...




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